Das Amtsgericht Leipzig verurteilt Anschlussinhaber
nach bloßem Verweis auf Dritte antragsgemäß.
Fehlurteil oder Fehlleistung?
12:25 Uhr
Mit der Entscheidung des Amtsgericht (AG) Leipzig (Urt. v. 26.08.2015,
Az. 102 C 1462/15) möchte ich einen in vieler Hinsicht interessanten und gleichzeitig alle (Foren-) Klischees bedienenden Filesharingfall - auf meine spezielle Art - vorstellen. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin, die
Münchner Abmahnkanzlei Walldorf Frommer Rechtsanwälte, obsiegte hierbei antragsgemäß. Der Beklagte war anwaltlich vertreten durch die
Schwäbisch Gmünder Anwaltskanzlei Hechler. Dabei muss man unbedingt wissen, das die
Anwaltskanzlei Hechler eine "Anti-Abmahn-Kanzlei" der ersten Stunde ist, mit Erfahrungen mit über 17.000 Filesharing-Abmahnungen und weiß, wie die Abmahnkanzleien vorgehen und wie sie reagieren. Natürlich ist das Amtsgericht Leipzig ein in puncto Störerhaftung streng ermessendes Gericht, was in diesem Fall überdeutlich wird. Aber werden auch Punkte angesprochen und richterlich ermessen, die andere Gerichte eben anders sehen.
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Amtsgericht Leipzig, Urteil vom 26.08.2015, Az. 102 C 1462/15
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1. Urteil
(...) hat das Amtsgericht Leipzig durch Richter am Amtsgericht "xxx" aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18.06.2015 am 26.08.2015 für recht erkannt:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.006,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 16.05.2014 zu zahlen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. (...)
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.006,00 EUR festgesetzt. (...)
2. Antrag des Beklagten
Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen und trägt hierzu vor dass er den streitgegenständlichen Film nicht heruntergeladen und Dritten angeboten hat. Er selbst sieht sich keine Filme im Internet an. Außer dem Beklagten hat seine Lebenspartnerin uneingeschränkten uns selbstständigen Zugriff auf den Internetanschluss mit einem eigenen Rechner. Auf Nachfrage des Beklagten zum Vorwurf, habe der Beklagte keine Antwort erhalten.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte ferner vorgetragen, wer zu den fraglichen Zeitpunkten (Mehrfachermittlung) sein Internetanschluss genutzt habe, sei nicht mehr nachvollziehbar. Die Lebenspartnerin könne sich nicht mehr erinnern, den Verstoß aber abgestritten. Die internetfähigen Geräte wurden daraufhin untersucht und festgestellt, das keine Tauschbörsenprogramme installiert gewesen waren.
3. Entscheidungsgründe
(...) Die zulässige Klage ist begründet. Der Klägerin steht gemäß § 97 Urheberrechtsgesetz i.V.m. § 823 BGB sowie §§ 19a, 16 und 85 Urheberrechtsgesetz ein Schadensersatzanspruch in der im Tenor genannten Höhe für die ungenehmigte und öffentliche Verbreitung eines urheberrechtlich geschützten Filmes zu, dessen Rechteinhaber der Kläger ist. (...)
Zur Strategie: Abgabe einer mod. UE sowie freiwillige Zahlung einer Summe in Höhe von 100,00 EUR
Nach Berichten von Betroffenen zufolge werden immer wieder freiwillige Zahlungen - selbst von weinigen Anwaltskanzleien vorgeschlagen - vorgenommen. Die Strategie dahinter sei eindeutig. Mit der Abgabe einer modifizierten Unterlassungserklärung und der freiwilligen Zahlung eines Betrages in Höhe von 100,00 bis 150,00 EUR, würde der Abmahner sich zufrieden geben (Stichpunkt "100-Euro-Deckelung") und nicht mehr klagen. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten warnt auf seiner Webseite eindringlich davor, so wörtlich, "Warum an die Gegenseite 100,00 EUR oder 150,00 EUR bezahlen, wenn man überhaupt nicht haftet und die Gegenseite ohnehin keine 150,00 EUR akzeptiert?" Es gibt auch andere Urteile, wo eine freiwillige Zahlung nicht von richterlichen Interesse war. Hier jedoch wurde durch das Amtsgericht Leipzig die freiwillige Zahlung einer Summe in Höhe von 100,00 EUR - aus meiner Sicht ist dies falsch! - als Schuldanerkenntnis gewertet.
Das Amtsgericht Leipzig:
(...) Aus dem vorgerichtlichen Verhalten des Beklagten ergibt sich ebenso, dass dieser die Rechtsverletzung selbst begangen hat. Hierbei hat der Beklagte durch die auf die Abmahnkosten geleistete Teilzahlung in Höhe von 100,00 EUR gemäß § 97a UrhG alte Fassung die Forderung dem Grunde nach auch anerkannt. Die vorbehaltslose Zahlung auf den von der Klägerin erhobenen Anspruch in der aus Sicht des Beklagten nach dessen Rechtsansicht vollständigen Höhe von 100,00 EUR, nämlich auf die Abmahnkosten, die offenbar nach der Rechtsansicht des Beklagten aufgrund der nicht einschlägigen gesetzlichen Regelung nur in Höhe von 100,00 EUR bestanden hätten, stellt somit ein Anerkenntnis des Anspruchs aus dem Grunde nach dar, so dass aus diesem Gesichtspunkt der Anspruch dem Grunde nach gegeben ist. (...)
Pauschales Bestreiten der Ermittlung der IP-Adresse und Zuordnung durch den Provider
Das Amtsgericht Leipzig:
(...) Zum anderen hat der Beklagte die Richtigkeit und die Zuverlässigkeit entsprechender Ermittlungen lediglich pauschal und in theoretischen Fällen bestritten. Bereits hier erfolgt seitens des Beklagten jedoch kein substantiierter Sachvortrag zu fehlerhaften Ermittlungen, wie in anderen vergleichbaren Fällen. Die technischen Ermittlungen der Klägerin waren vielmehr unstreitig. (...)
(...) Die fehlerhafte Zuordnung und die unrechtmäßige Herausgabe von Verbindungsdaten durch die Telekom ist ebenfalls nicht anzunehmen. Konkrete Anhaltspunkte hierfür sind nicht erkennbar, ebenso nicht die Fehlerhaftigkeit inhaltlicher Art (vgl. hierzu Urteil des OLG vom 02.08.2013, Az. 6 O 10/13). Die demnach als Quelle der streitgegenständlichen Urheberrechtsverletzung ermittelte IP-Adresse war somit dem Beklagten zugewiesen, so dass auch nach der Entscheidung des BGH ( vgl. GRUR 2010, 633 sowie GRUR 2013, 511) von der Täterschaft des beklagten auszugehen war. (...)
Vielleicht hätte der Beklagte hier besser vorerst den Rat des in den Foren bekannten technischen und juristischen Sachverständigen Ingo Bentz (alias "Shual; gewerbliches Forum "IGGDAW") oder eines diplomierten (Foren-) Techniker wie "Werniman" oder "micgau2" einholen sollen, da diese ausgewiesenen "Experten" über immens großen prozessuale Erfahrungen verfügen.
Das Amtsgericht Leipzig stellt ähnlich dem Gerichtsstandort München überzogene Forderungen zur sekundären Darlegungslast!
Wenn man sich dem Entscheidungsgründen tiefgründiger annähert, wird schnell klar, das hier seitens des Amtsgericht Leipzig der Bogen zur sekundären Darlegungslast im Gegensatz zu anderen Gerichtsstandorten überspannt wird. Die Aufgabe einen Abgemahnten bzw. Beklagten kann es nicht sein den Täter selbst zu ermitteln und zu präsentieren, noch tiefgründige Nachforschungen vorzunehmen.
Das Amtsgericht Leipzig:
(...) Aus der Vermutung zu Lasten des Beklagten für seine Täterschaft ergibt sich somit die Beweislast für den Beklagten, Tatsachen nachzuweisen, die einen anderen Geschehensablauf erscheinen lassen. Der Anscheinsbeweis wird dabei durch den Nachweis von Tatsachen entkräftet aus denen sich ein anderer Sachablauf ergibt. Ernstliche Umstände, die die Täterschaft des Beklagten in Zweifel ziehen, wurden jedoch bereits nicht vorgetragen (...)
Dabei hat der Beklagte doch unstreitig zum Ausdruck gebracht, das er die Rechtsverletzung selbst nicht getätigt hat, keine Filme im Internet ansieht und die Lebenspartnerin uneingeschränkten Internetzugang mit dem eigenen Rechner hat. Zwar kann sich diese nicht mehr erinnern zu den Tatzeitpunkten das Internet genutzt zu haben, aber im Rahmen der Nachforschungspflicht wurde die Lebenspartnerin befragt und die internetfähigen Geräte untersucht. Dabei wurde der Vorwurf abgestritten sowie befand sich keine Tauschbörsensoftware auf den Geräten. Dies sollte ausreichend sein, denn wenn es niemand war, muss der Kläger beweisen wer denn nun. Hierbei nähert sich das Amtsgericht Leipzig dem überzogenen Forderungen des Gerichtsstandortes München an. Auch wenn es zwischen Klageerwiderung und mündlichen Verhandlung dezente Widersprüche in den Angaben des Beklagten gab, soll der Beklagte den Täter selbst präsentieren.
Das Amtsgericht Leipzig:
(...) Der Beklagte hat daher die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufes darzulegen, (...). Der Sachvortrag der bloßen und theoretischen Zugriffsmöglichkeit Dritter auf den genannten Internetanschluss reicht hierzu nicht aus. Vielmehr ist ein konkreter Sachvortrag, sowohl bezogen auf die genannten Tatzeitpunkte als auch bezogen auf das allgemeine Benutzerverhalten, erforderlich. (...)
(...) Über das allgemeine Nutzungsverhalten des Beklagten und seiner Lebensgefährtin ist auch kein hinreichender Sachvortrag erfolgt. Ebenso wurde auch das Nutzungsverhalten des Beklagten selbst nicht dargestellt. Dieser hat vielmehr die Rechtsverletzung und die Teilnahme an einem Filesharing-System für seine eigene Person lediglich pauschal bestritten. (...)
Und es wird spätestens jetzt der (Foren-) Ruf laut, nach einem Fehlurteil sowie einer Unterhaltungsindustrie freundlichen sächsischen Rechtsprechung.
Das Amtsgericht Leipzig:
(...) Die rein theoretische Möglichkeit der Rechtsverletzung durch weitere Personen genügt der sekundären Darlegungslast des Beklagten nicht. Der Beklagte muss dabei die Vorgänge im Bezug auf die Internetnutzung in seinem Haushalt schildern, die die Klägerin nicht kennen und auch nicht ermitteln kann. Ohne konkreten Sachvortrag wäre anderfalls die Durchsetzung von Ansprüchen eines Urhebers grundsätzlich ausgeschlossen, sobald sich im Haushalt mehrere Personen befinden oder der Anschluss lediglich pauschal auf die Nutzungsmöglichkeit anderer Personen verweisen kann (...)
Das Amtsgericht Leipzig zu fehlenden Nutzungslizenzen für einen freien kostenlosen Download
Obwohl ein Trend in der Rechtsprechung sichtbar ist, verschließt das Amtsgericht Leipzig hier seine Augen davor. In fast allen Anwaltsseiten und Foren wird immer und wieder hingewiesen, das der Filesharer durch Filesharing nichts erlangt hat, sich das entsprechende Werk nur zum Eigengebrauch illegal besorgte, sowie der Rechteinhaber den Schadensersatzanspruch nicht nach der Lizenzanalogie berechnen darf, da es solche Lizenzverträge nicht gäbe.
Beispielgebend: Landgericht Bielefeld, Beschluss vom 06.02.2015, Az. 20 S 65/14
(...) Vorliegend liegen die tatsächlichen Verhältnisse allerdings grundlegend anders. Während die Verwertungsgesellschaft GEMA es einem Nutzer ermöglicht, einen urheberrechtlichen Lizenzvertrag über die von ihm gewünschte Musiknutzung abzuschließen, besteht in Filesharingangelegenheiten eine solche Möglichkeit nach dem Vorbringen der Klägerin nicht. Vorliegend hätte der Beklagte daher - wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat - selbst dann, wenn er dies gewollt hätte, mit der Zedentin keinen urheberrechtlichen Lizenzvertrag über eine Weiterverbreitung des gegenständlichen Filmwerks im Rahmen eines Filesharing-Systems schließen können. Auch liegt der Hauptzweck des typischen Nutzers einer Internettauschbörse darin, das Film- oder Musikwerk zu erhalten und nicht in dessen darüber hinausgehender Verbreitung. Hierfür wäre aber auch bei einer legalen Vorgehensweise gerade keine Lizenzgebühr, sondern allenfalls der übliche Verkaufspreis etwa einer DVD gezahlt worden (so insgesamt neben dem Amtsgericht Bielefeld auch AG Düsseldorf, Urteil vom 24.07.2014 - 57 C 15659/13 - juris; AG Kassel, Urteil vom 24.07.2014, - 410 C 625/14 - juris; AG Hannover, Urteil vom 09.01.2015, - 424 C 7759/14 - juris). (...)
Nein, nähert man sich auch hier der - jedenfalls aus unserer Sicht - falschen Rechtsauffassung der Landgerichte Köln (Beschluss vom 21.07.2015, Az. 14 S 30/15) und Frankfurt am Main (Urt. v. 08.07.2015, Az. 2-06 S 21/14; Hinweisbeschl. v. 18.09.2015, Aktenzeichen 2-03 S 30/15) an.
Das Amtsgericht Leipzig:
(...) Der Klägerin steht darüber hinaus ein Schadensersatzanspruch zu, den die Klägerin im Wege der Lizenzanalogie ermittlet hat und danach steht ein solcher Schadenersatzanspruch zu in Höhe eines Betrages, den die Klägerin bei redlichen Erwerb der Nutzungslizenz vom Urheberrechtsverletzer erhalten hätte. (...)
(...) Im vorliegenden Fall vertreibt die Klägerin keine Nutzungslizenzen zur Bereitstellung vollständiger Filme über das Internet zu kostenlosen Download für jedermann. Auf der Hand liegend ist dabei aber, dass bereits beim einmaligen Verkauf einer solchen Lizenz und der sich daran anschließenden rechtmäßigen Verbreitung eines Filmes über das Internet, Verkaufsmöglichkeiten des entsprechenden Datenträgers gleichen Inhaltes nahezu ausgeschlossen wären. (...)
(...) Unter Berücksichtigung dessen, was vernünftige Vertragspartner als Vergütung für eine unbegrenzte weltweite und kostenlose Downloadmöglichkeit für einen vollständigen Film vereinbart hätten, ist gem. § 287 ZPO davon auszugehen, dass dieser Betrag nahezu den gesamten finanziellen Erfolg der Produktion erreichen müsste, so dass von der Klägerin angenommene Schadensbetrag von 600,00 EUR angemessen ist. (...)
Fazit: Fehlurteil UND Fehlleistung!
Diese Entscheidung ist nicht nur allein "Unterhaltungsindustriefreundlich", nein, stellt eine glattes Fehlurteil und Fehlleistung dar. Hier sollte sich der Beklagte, in Absprache mit den bundesweit bekannten technischen und juristischen Sachverständigen Ingo Bentz (alias "Shual"; gewerbliches Forum "IGGDAW") in Verbindung setzten und eine mögliche Berufung prüfen. Auch gibt es für vergleichbar gewinnbare Fälle die
"Spendenaktion gegen den Abmahnwahn", die sicherlich in diesem "Justizskandal" den Berufungskläger wirtschaftlich unterstützen sollte.
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Autor: Steffen Heintsch für AW3P
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AG Leipzig, Urteil vom 26.08.2015, Az. 102 C 1462/15